WO IST DIE MUSIK. Bilder, Medien und das neue Hören.

Ringvorlesungsreihe

Sommersemester 2014

Visuelle Kommunikation

Kuratiert von

Michael Dreyer

Vorlesungen

Plakate entworfen von Steffen Eghardt, Jennifer Mantas, Bryan Nee-Darko, Daniel Schmidt und Theresa Seibold, Pathway Visuelle Kommunikation.

Die visuellen Medien der „konservierten“ Musik (canned music), ihre neuerdings disparaten Orte und variablen Gebrauchsweisen sind das Thema dieser Ringvorlesung. In den bild- und klangreichen Vorträgen über das Innen und Außen des Sounds, über das Design des Hörens wird der eigentümlichen Koexistenz neuerer und älterer Formen audiell-visueller Objekte nachgespürt werden. Mit den fünf exemplarischen Themen der Vorträge soll eine Diskussion über die Zukunft und die kommunikative Kraft von Musik und Gestaltung angeregt werden. Die Bildproduktion rund um die populäre Musik boomt und differenziert sich. Andererseits können wir heute vollkommen ohne jegliche Anschauung hören. Denn mit den Tonträgern verschwanden die Verpackungen und damit die Bildflächen. Was wir hierbei visuell handhaben, ist unser Abspielmedium. Dateiname, Dateigröße, Liste, Steuerung… pure Information, klare Befehle – audio pur. Wir haben die Wahl, stecken als Konsumenten sozusagen im „double bind“ des Angebots zwischen rasenden Bildmedien und dem Urzustand „reinem Hörens“. Beim ersten populären Tonträger, der Schellackplatte, bot ein kreisrunder Ausschnitt mitten in der blanken Kartonhülle den Blick aufs Wesentliche, die Angaben auf dem Label. Ein logisches Prinzip, das DJs bei ihrer Arbeit wieder schätzen.

Aber die private Hörpraxis entwickelte sich und wurde auch visuell anspruchsvoll. Das Loch in der Mitte der Hüllen wurde vor 100 Jahren schon geschlossen und die Bildfläche für die Konterfeis der Performer und Performerinnen war geschaffen – ein Surrogat der Bühne für den privaten Konsum, voll von Fotografie, Typografie, Illustration und in immer neuen Verpackungsformen. Das Radio brachte die Stimme und das TV den Habitus, das Bühnencharisma in den letzten Winkel der Welt. Im Zuge der Überwindung der alten Unanschaulichkeit von Klangbildern aus den Trichtern und Membranen entstand eine audiovisuelle Industrie. Vor kurzem (…wenn wir den langen Weg seit Erfindung der Schallplatte in Betracht ziehen) endete bei den Tonträgern die große Ära der Rotation und damit die von Kreis und Quadrat im Tonträger-Design. Das Verhältnis von Musik zum Bild, vom Bild zur Musik wurde mit dem Internet neu geordnet. Das Gleiche gilt für Immaterialität und Materialität.

Prof. Michael Dreyer

Das Bild und die Haptik bei canned music ist mehr als ein Service, es ist konstitutiv für Erzeugung und Gebrauch. Fast schon ein Henne-Ei-Phänomen. Das zeitgenössische Hören ist also eine Mischung aus neuen und alten Gebrauchsweisen diverser Medien. Streaming und Speicherwüsten im Vielfachen unserer Lebenszeit stressen uns. Vinyleditionen und opulente CD-Boxen transportieren regressive Heimatgefühle und Sammlerpassion, die wir narzisstisch genießen. Mehr noch: wir genießen das Sammeln anstelle des Hörens. YouTube hält jegliche Clips von Stars und Nerds bereit, wir könnten da auch mitmachen. Entscheiden wir uns für den Download oder verstopfen wir unser Regal mit weiterem Medienballast? „Schlimm“ ist das alles nicht. Genaugenommen aber ist es schon ein Paradox, dass die von den Tonträgern befreiten Musiken immer wieder zurückkehren zum Bild.

Dort ist die Musik.